Mein Logbuch

Hallo, ist da jemand?

In der aktuellen Krise in den Schulen wird sich erweisen, ob das Schulsystem wandelbar ist, oder ob es nun vollends zerbricht an der Realität vor Ort.
Keiner, der nicht IN einer Schule tätig ist, hat eine Vorstellung davon, wie viele individuelle Voraussetzungen vor Ort in einem Klassenzimmer von einer Lehrkraft unter einen Hut gebracht werden müssen. Diese Bandbreite reicht von Kindern, die individuell durchgestartet sind seit dem Homeschooling, über Kinder, die seither nicht mehr oder sehr schlecht in den Alltagsrhythmus gefunden haben, über Kinder und Jugendliche, die psychisch beeinträchtigt sind bis hin zu nicht mehr beschulbaren Kindern, sprich Schulverweigerern. Über Kinder und Jugendliche, die an Long Covid leiden, haben wir an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen.
Der Anspruch an die Lehrkräfte, alle Kinder einer Klasse zur selben Zeit mit dem selben Stoff zu unterrichten, ist nicht mehr realisierbar. An jedem Tag ist die Situation in den Klassen anders. Was gestern mit Lerngruppen vereinbart wurde, gilt heute womöglich nicht mehr und morgen ist die Welt aus Sicht der Kinder und Jugendlichen wieder eine andere. Diese Dynamik ist ein neues Phänomen. Viele Jugendliche biegen sich ihre Wahrheit so zurecht, wie es für sie erträglich wird. Manche strecken die Flügel, wieder andere verzweifeln gerade an sich und der Welt.
Soll heißen: die Situation an Schulen ist maximal herausfordernd wie ich es persönlich in 22 Jahren Berufstätigkeit noch nie erlebt habe. Mit Einheitsbeschulung und Prüfungen nach Schema F werden wir den Kindern und Jugendlichen gegenüber schon lange nicht mehr gerecht. Was sich an den Schulen jetzt offenbart, ist das Ausmaß der monatelangen Schulschließungen und nicht enden wollender Krisen. Das ist die neue Realität, auf die wir JETZT reagieren müssen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Wir brauchen Ermöglichungsräume statt Erfüllungszwang.
Wir brauchen Zeit und Raum für Projektarbeit statt Leistungsdruck.
Wir brauchen die Ermöglichung individuell als sinnvoll erachteter Lernprodukte statt das Erzwingen von Bulimielernen für Klassenarbeiten.
Wir müssen zulassen, dass Kindern auf unterschiedliche Weise und an unterschiedlichen Orten lernen und arbeiten wollen.
Schulleitungen müssen von 10 Entscheidungen im Schulalltag mindestens 8 selbst fällen dürfen und nicht 2 wie jetzt gerade.

Kurz: Schulen müssen autonomer werden dürfen als Gemeinschaft, im Vertrauen darauf, dass alle ihren Job nach bestem Wissen und Gewissen tun im Sinne eines gut funktionierenden Miteinanders und Füreinanders. Diese Partizipation zuzulassen, wäre ein erster wichtiger Schritt hin zu einer sich wandelnden Schulkultur, in der es immer weniger "top down" gibt. Erst dann können Schulleitungen vor Ort mit ihren Schulgemeinschaften realistische Wege finden, die rausführen aus dem Krisenmodus hin zu Selbstwirksamkeit, Kreativität und Gestaltungswille, die wir so dringend für eine gute gemeinsame Zukunft benötigen.

Und soll nach der Coronapandemie keiner mehr sagen: "Geht nicht". Denn "geht nicht", gibt es nicht mehr seit 2020.

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